Kein Mitgliederschwund trotz langer Corona-Pause: „Wir
wollen uns für die Treue bedanken“
Die Gemeinde Grünheide ist vor allem wegen einer der modernsten
Autofabriken der Welt
bekannt: der Giga-Factory von Tesla. Und „giga“ ist es tatsächlich, das riesige Stahlbeton-Glas-Monstrum, das sich jedem präsentiert, der die A10 zirka 35 Kilometer östlich von Berlin verlässt.
Doch die wenigen Autofahrer, die die Mega-Baustelle hinter sich lassen und sich immer weiter trauen auf den kleiner und schlechter werdenden Straßen, treffen auf die zweite große Sehenswürdigkeit der
kleinen Gemeinde Grünheide: das Olympia- und Spitzensport-zentrum Kienbaum. Der Judo-, Ju-Jitsu- und Fitness-Verein PSV Kamenz hat jetzt drei Tage dort verbracht und konnte hautnah nachfühlen, wie
sich Deutschlands Olympioniken auf ihre großen Wettkämpfe vorbereiten.
Breitensport trifft Spitzensportbedingungen - und dabei steht für die Kamenzer nicht einmal ein
wichtiger Wettkampf vor der Tür. „Wir wollen uns einfach bei unseren treuen Mitgliedern bedanken“, erklärte PSV-Vorsitzender Andreas Seifert. Was
sich so simpel anhört, beschreibt tatsächlich ein kleines Wunder. Während der langen unsäglichen Corona-Pause, in der so viele Breitensport-Vereine gezwungen waren, ihre Hallen und Sportstätten
komplett zu schließen, liefen vielen Vereinen unzählige Mitglieder davon. Klar, viele konnten sich durch Kurzarbeit und Jobverlust die Beiträge nicht mehr leisten. Doch die Sportfreunde des PSV
Kamenz sind ein besonderes Völkchen, so scheint es. Statt Mitglieder zu verlieren, gewann der PSV sogar welche hinzu - trotz Trainings- und Wettkampfstopps. Vor Corona zählte der Verein 242
Mitglieder, jetzt sogar 252.
55 Sportler und Familienmitglieder machten sich auf den Weg nach Kienbaum. Eigentlich hätte dem PSV für
seinen aktiven Vereinsausflug auch der sächsische Sportpark Rabenberg im Erzgebirge gereicht. Aber dort war alles ausgebucht. Also rief Anne
Neumann-Novak kurzerhand beim nationalen Elite-Sportzentrum in Kienbaum an. Wie heißt es so schön: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Kienbaum hatte Platz und bestätigte die Reservierung. Es wird
nicht allzu viele Breitensportvereine geben, die Deutschlands wohl bekanntestes Olympia-Trainingszentrum von Innen gesehen haben. Und vielleicht bekam es die dortige Verwaltung nach ihrer Zusage auch
ein bisschen mit der Angst zu tun, denn sie bat den PSV im Vorfeld eindringlich darum, nicht mit großen Partys die Spitzensportler zu stören. Doch die Furcht war völlig unbegründet, schließlich
hatten Anne Neumann-Novak, Jana Hohlefeld und Manuela Birnstein von der Fitnessabteilung ein straffes und vor allem vielseitiges Trainingsprogramm zusammengestellt: Schwimmen, Inlineskaten,
Volleyball, Tischtennis, Leichtathletik, Yoga, Fitness und vieles mehr wurde angeboten. Natürlich konnte auch das Deutsche Sportabzeichen des DOSB abgelegt werden. „Das ist einfach spitzenmäßig. Alle
Daumen hoch!“, sagte Denis Vogel, der mit seinem Sohn Ben in Kienbaum dabei war. Der Zehnjährige meinte: „Hier trainieren sonst nur Spitzensportler. Das ist noch besser als jedes Fußballcamp.“
Zwischen 5 und 64 Jahre alt waren die PSVler, die mit auf die Vereinsreise gegangen sind. Sigune Novak heißt die älteste Teilnehmerin, sie ließ es dennoch kein bisschen langsamer angehen:
„Muskelkater? Na klar! Wer hat hier keinen?“ Die Bernsdorferin genoss vor allem das Miteinander und dass sie ohne viel Hektik viele Sportarten ausprobieren konnte. Badminton - früher einfach
Federball genannt - gefiel ihr am besten.
Natürlich steht der PSV Kamenz auch für ehrgeiziges Judo-Training: In den vergangenen Jahren konnte die Männermannschaft schon dreimal und die ehemalige
Frauenmannschaft zweimal die Landesmeisterschaft gewinnen sowie einige jugendliche Kämpfer einen Podestplatz bei den Deutschen U18-/U-20-Meisterschaften feiern. Erst jüngst wurde Max Flachowsky
Mitteldeutscher Meister U18 in der 73-Kilo-Klasse und errang bei den Deutschen U-18-Meisterschaften zwei Siege. Doch auch für alle anderen Vereinsmitglieder war es super interessant, einmal Kienbaum
kennenzulernen. Schließlich war die in weitläufigen Wäldern versteckte Anlage am Liebenberger See in DDR-Zeiten ein wahres Staatsgeheimnis. Nur absolute Spitzensportler durften hier trainieren,
selbst das Personal musste Geheimhaltungs-erklärungen unterzeichnen, besonders nachdem Ende der 70er Jahre die in dieser Art weltweit einzigartige
Höhentrainingsanlage eröffnet wurde. In einer riesigen Unterdruckkammer konnten Höhen von bis zu 4000 Metern simuliert werden. Damit mussten vor allem die Ausdauersportler der DDR nicht mehr nach
Mexiko und Äthiopien fliegen, um bessere Leistung zu erzielen. Stattdessen konnten bis zu 39 Sportler gleichzeitig in dem Bunker trainieren, essen und schlafen - manchmal nur 3 Stunden, manchmal bis
zu 10 Tage am Stück. Die unterirdische Kammer war so groß, dass sogar ein Kanubecken herein passte. Marathonläufer Waldemar Cierpinski bereitet sich zum Beispiel von den Spielen 1980 in Moskau in der
Höhenkammer in Kienbaum vor und lief anschließend zum Olympiasieg. Heute existiert die Druckkammer nur noch als Museum und ist auf Nachfrage geöffnet.
Die Sportler des PSV Kamenz hatten in Kienbaum für einen Museumsbesuch freilich keine Zeit. Schließlich
wollten sie die Chance nutzen und in kürzester Zeit auf engstem Raum so viele Sportarten wie möglich probieren. 23 unterschiedliche Sportanlagen sind auf dem Gelände verstreut, darunter z.B. zwei
400-Meter-Leichtathletikstadien. Doch was gefiel am besten? Lysann Krzyzaniak, die mit Mann und ihren zwei Kindern dabei war, musste nicht lange überlegen: „Viel Sport, viel Spaß: Egal aus welcher
Abteilung, egal welchen Alters - das ist das Beste hier.“ Das hört sich doch nach einer guten Interpretation des olympischen Gedankens an. Tauschen wollte dann doch kaum ein Kamenzer mit den
Spitzensportlern in Kienbaum - denn außer Sport und Einsamkeit gibt es nicht viel zu erleben in der Kaderschmiede. So freuten sich doch einige Judokas auf ihren Breitensport in der eigenen Halle am
Kamenzer Siedlungsweg.
Autorin: Tina Zander
Sportanlage Kienbaum
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